Johannes Düben kommentiert die Diskussionsveranstaltung über die Stasi in Grünheide

Der Historiker Helmut Müller- Enbergs (Mitarbeiter der Bundesbehörde zur Aufarbeitung der Stasiunterlagen) war am 27. Mai 2011 um 19.30 Uhr zu dem Thema “Wenn dein Kind dich morgen fragt… Grünheide und die Stasi – Anstöße zur Aufarbeitung”  in der Kirche “Zum guten Hirten” (Karl-Marx-Str. 36, 15537 Grünheide) zu Gast, zu der die Evangelische Kirchengemeinde Grünheide (Mark) in Zusammenarbeit mit der „Gauck-Birthler-Jahn- Behörde” und Robert Havemann Gesellschaft e.V. eingeladen hatte.

Ich möchte mich kurz vorstellen: Ich bin der Operative Vorgang „Turm“, meine Name ist Johannes Düben. Ich war von 1979 bis 1983 Kreisjugendwart in Stralsund. In dieser Zeit fiel:
–    Die Solidarność- Bewegung in Polen
–    Die erste Friedensdekade… Von Beginn an war das Symbol Schwerter zu Pflugscharen das Kennzeichen der Friedensdekaden in der DDR. Es war Anfang der 1980er Jahre Anlass harter Auseinandersetzungen mit dem Staat, hier mit seinen Stralsunder Kreis- und Bezirksgliederungen, als es viele Jugendlichen als Aufnäher, auch die der Stralsunder Hansa- EOS, trugen, machten die jungen Christen der Stadt übelste Erfahrungen mit der politischen Unmoral der staatlichen Unterdrückung. Aufnäher wurden ihnen abgerissen oder aus dem „Parka“ geschnitten, sie wurden mit Schulverweis bedroht.
–    SOFD- Sozialer Friedensdienst
–    Der Nachrüstungs-und der Nachnachrüstungsbeschluss, die Friedensbewegung
–    1981 die, meine Wehrdiensttotalverweigerung, Wolfgang Schnur drängte sich mir als „Verteidiger“ penetrant auf, der damalige Superintendent Torkler forderte „Turm“  zum „normalen“ Bausoldatendienst auf
–    Horst Gienke (* 18. April 1930 in Schwerin) war von 1972 bis 1989 Bischof der Pommerschen Evangelischen Kirche. Nach Gienkes Rücktritt wurde bekannt, dass dieser vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) seit 1972 als IM (Inoffizieller Mitarbeiter) „Orion“ geführt worden war. In der Folgezeit wurden diese Berichte durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt. Die Bezirksverwaltung Rostock des Ministeriums für Staatssicherheit hatte Gienke als IM unter der Nummer I/1066/72 registriert.  Nach eigener Aussage hat Gienke bis 1989 insgesamt 37 vertrauliche Gespräche mit MfS-Offizieren geführt, in denen es um „grundsätzliche Fragen nach politischen Entscheidungen sowie dem inneren und wirtschaftlichen Gefüge des Staates“ gegangen sei.  Gienke sabotierte mit Vehemenz die aufkeimende kirchliche Friedensbewegung und bestellte „Turm“ ein, ich, Düben wurde zum religiösen Schwärmer alias Thomas Müntzer erklärt, ich, Düben stellte dennoch unbeeindruckt klar: „Jesus sagte unmissverständlich- Wer das Schwert ergreift, wird durch das Schwert umkommen – Jesusnachfolge heißt rigoroser Pazifismus, Pazifismus ist alternativlos…angesichts eines atomaren Overkills, wird Luthers Lehre vom gerechten oder ungerechten Krieg geradezu lächerlich. Es gibt nur noch gerechte und ungerechte Untergänge“. Ich, Düben nahm/antizipierte 1981 eigentlich essentials für das nachfolgende Halbdekade/Dekade kirchlicher friedensbewegter Jugendarbeit vorweg, dies führte dazu, dass ich ca. 15 IM in der Jungen Gemeinde, meinem Wirkungsgefolge, in Stralsund hatte- manchmal und oft waren in der „JG“ nur 20 Jugendliche präsent- welch ein Betreuungsschlüssel! Ich für ein sogenanntes X- Internierungslager „markiert“ und im Operativen Vorgang meine Persönlichkeitszersetzung als oberste Priorität angelegt.  Selbst der Taufpate Harald M. meiner Tochter Nadine´ war IM, als „Ghostwriter“ hatte ich ihm seine Diplomarbeit so ziemlich, aus rein seelsorgerlichen Gründen- „vorgeschrieben“.
–    Nach der Operation „Julia“ verließ ich Stralsund, die Bezirksleitungen der Stasi in Rostock und Neubrandenburg hatten ihr Ziel erreicht

Das fiel mir ein und das hätte ich erzählen müssen! Ich hätte auch sagen müssen: Das MfS als „Schild und Schwert der Partei“ von der SED bezeichnet, weißt auf diese Partei mit ihren 2,7 Millionen Mitgliedern zurück. Das MfS als Spitze des Eisberges des Totalitarismus und die darunterliegenden sechs siebtel, die SED mit ihren Blockflöten: CDU, NDPD, DBD, LDPD…und weiteren Organisationen und deren Gliederungen als Basis dessen. Die DDR auf die Stasi zu verkürzen oder zu fokussieren ist ahistorisch und verniedlicht den perversen absoluten Überwachungsstaat, exemplarisch belegt sie jedoch diese perfide, ahumane politische Kultur dieses Staatssystems mit den eigenen Bürgern ihres Landes. Sie ist Muster und Matrix des linken Totalitarismus, das banal Peinliche in ihrem Strickmuster belegt das Obszöne in ihrer Ideologie, die totale Durchdringung des Lebensalltages der DDR- Bürger machte nicht einmal vor der „Latrine“ halt…Mit Erstaunen nahm ich die Abwesenheit des Bürgersmeisters Herrn Arne Christiani und die der Vorsitzenden der Gemeindevertretung Frau Fitzke zur Kenntnis, die sich doch noch vor Tagen, ob ihrer „Stasi- Selbstüberprufung“ bei der BSTU nach über 20 Jahren, frenetisch selbstfeierten, wobei Frau Fitzke im selben Atemzug eine öffentliche Überprüfung wiederholt ablehnte und Herr Christiani erst zu einem eindeutigen „JA“ von einem Gemeindevertreter ermuntert werden musste. Dass die GemeindevertreterInnen der SPD nicht erschienen, ist  ihrem langjährigen Abstimmungsverhalten bei der Stasiüberprüfung der GemeindevertreterInnen geschuldet, vielleicht mussten sie auch mit ihrem Ober-IM „Sekretär“ dessen 75 Geburtstag im „Roten Rathaus“ von Grünheide noch nachfeiern (Ein etwas älteres Zitat: “Seine Berufung als neuer Bundesminister für den Aufbau Ost ist die große Rolle rückwärts. Damit sitzt zum ersten Mal die ‘Firma’, also die Staatssicherheit, mit am Kabinettstisch der Bundesrepublik” Staatssekretär Stephan Hilsberg, SPD ). Ebenso schmerzlich vermisste ich den eloquenten, ehemaligen CDU- Gemeindevertreter Eckehard Schramma, der im Zusammenhang mit dem vorletzten Antrag des bürgerbündnis grün- gelb, zur Stasiüberprüfung in 2010, wegen „politischer Inkontinenz“ die CDU verließ und vor dem erneuten Antrag, in 2011, gar die Gemeindevertretung Grünheide, es ist  zu befürchten, dass er nach einem weiteren Antrages unsererseits, ggf. ob veränderter Aktenlagen in 2012, Deutschland in Richtung Nordkorea verlässt…

Der Vortrag von Helmut Müller- Enbergs war subtil, leise und beängstigend, beängstigend weil er, oben folgend, das Handeln des MfS in seiner banalen Obszönität beschrieb. Der Vortrag war jenseits von Boulevard und anderem Sensationsgetöse, gerade diese Sensationslosigkeit verschlug mir im wortwörtlichem Sinne die Sprache…das „Böse“ ist so unanständig trivial, verbunden mit Dummheit unerträglich, da kannst/konntest du nur gehen, wenn MfS Dich denn lässt/ließ.
Danke Herrn Pfarrer Madloch für drei Stunden Heimat, danke für seine auch leisen Töne, jenseits von Zu- und Vorführung…
An einem farbarmen nebligen Tag in Grünheide im November 1984 gegen 15:47 Uhr, eine übrig gebliebene, wohl vom 7. Oktober, schon arg verwehte DDR-  Fahne, in zellulosereicher Postenkartengröße mit Plastikstäbchensplittergriff, treibt über zersprungene Gehwegplatten die Karl- Marx- Straße hinab…erste Lichter zucken auf, Gardinen werden auf Mitte gezupft, widerstehend werden Lichtschneisen nach innen und nach außen geschlagen…Graumännerfrauen mit hochgeschlagenen Nieselkragen huschen in Toreinfahrten weg…Ein „Neues Deutschland“ hängt seine Lesezunge aus dem Postkasten, die Erfolge des Sozialismus tropfen  auf nasskalte schemenhafte Vorstadtidylle…Es wirkt wie Staatsverrat, meldepflichtig… Gesellschaftliches Glück bis 15:47 Uhr noch nicht gelesen, immer noch im petty bourgeoisen Kasten aus Genex- Edelstahl gefangen!

Ahoi- Johannes